Wir sind unterwegs von Svansele nach Piteå – knapp zwei Stunden fahren wir auf einsamen Landstraßen durch die verschneiten Wälder. Auch heute meint es der Wettergott sehr gut mit uns – die Sonne strahlt und lässt den Schnee wie unzählige kleine Kristalle glitzern. Große Schneefelder, wohl zugefrorene Seen, unterbrechen die Wälder immer wieder. Nur ab und zu kommt uns ein Fahrzeug entgegen, ansonsten haben wir fast das Gefühl alleine unterwegs zu sein. Das ist eine ganz besondere Erfahrung – vor allem, wenn man aus Stuttgart kommt und tägliche Dauerstaus gewöhnt ist. Unser Blick gleitet entlang der Wälder – immer in der Hoffnung, Rentiere oder gar Elche zu entdecken. Die Bäume stehen hier recht weit auseinander und man kann sich nur schwer vorstellen, dass ein Elch sich hinter den schmalen Baumstämmen verstecken kann. Aber wie auch immer sie es schaffen- sie bleiben unsichtbar. Rund 300 000 Elche soll es in Schweden geben, ein Drittel des Bestandes wird alljährlich geschossen, erkärte uns unsere Begleitung Anna bei unserem Besuch in Svansele. Kein Wunder gehören Elch- und Rentierfleisch zu den typischen Spezialitäten hier im Norden.
In Schweden gibt es keine „wilden“ Rentiere
Bei der Gelegenheit erfahren wir auch, dass es keine „wilden“ Rentiere in Schweden gibt alle sind in Privatbesitz. Die Rentierzucht ist den Ureinswohnern, den Sami, vorbehalten. Einmal im Jahr werden die Herden zusammengetrieben, gezählt, Jungtiere markiert und ein Teil der Tiere geschlachtet – so wie es schon seit vielen Generationen praktiziert wird.
Piteå – der Badeort hat auch im Winter viel zu bieten
Hansi Gelter hat uns am Morgen in Svansele abgeholt und wir werden die nächsten beiden Tage mit ihm unterwegs sein. Schon als kleines Kind kam er mit seinen Eltern aus Österreich nach Schweden. Sein Vater arbeitete in einem der zahlreichen Bergwerke in Lappland. Im Rentenalter gingen seine Eltern zurück nach Österreich. Hansi aber blieb in Schweden. „Für mich ist das meine Heimat, ich liebe die Natur hier“, erzählt er strahlend. Er hat sich voll und ganz dem sanften Tourismus in der Region verschrieben und unterrichtet als Professor an der Universität von Luleå die Entwicklung neuer Tourismus-Konzepte. Die setzt er dann auch direkt um, denn er betreibt zudem ein kleines Unternehmen in Piteå, das verschiedenste Outdoor-Aktivitäten wie Kajaktouren, Trekking, Bootstouren und sogar Schnorcheln mit Robben anbietet. Außerdem vermietet er einige Ferienhäuschen auf einer der Insel in der Bucht. Jetzt im Winter sind sie nur mit dem Motorschlitten erreichbar. Im Sommer nur mit dem Boot – wir haben uns die Häuschen zwar nicht angesehen, aber es klingt sehr nach extrem entspanntem Familienurlaub.
Ein Leuchtturm auf verlorenem Posten
Wir legen einen kurzen Stopp an der Uferpromenade von Pitea ein – was im Sommer ein Urlaubsparadies ist, ist im Winter gar nicht wirklich zu erkennen. Das Meer, der Sandstrand, die ganze Bucht – eine einzige weiße Eisfläche. Kaum vorstellbar, dass sich hier in ein paar Wochen Touristen am Strand räkeln werden. Die Region ist vor allem bei Urlaubern aus Norwegen sehr beliebt. Hansi erzählt uns, dass die Sonne das Wasser in den Sommermonaten auf über 25 Grad aufheizen kann – klingt, als ob man sich das mit einem Sommerurlaub in Schwedisch Lappland durchaus überlegen könnte.
Rentiere zum Kuscheln
Kurz bevor wir unseren Bauernhof erreichen, in dem wir heute übernachten werden, hat Hansi noch eine Überraschung für uns. Wir biegen von der Hauptstraße ab und erreichen nach einigen Minuten ein kleines Waldstück. Dort wartet bereits Nicklas, ein Freund von Hansi auf uns. Gemeinsam gehen wir weiter und entdecken eine ganze Herde Rentiere. Die Überraschung ist geglückt – mal davon abgesehen, dass wir Rentiere so aus der Nähe zu sehen schon großartig finden, stellen wir fest, dass das hier ganz zahme Rentiere sind, die uns (bzw. das Futter, das Nicklas dabei hat) schon sehnsüchtig erwarten. Einen ganzen Korb voller Wurzeln und Flechten hat Nicklas dabei – die Rentiere sind entzückt und buhlen um den besten Leckerbissen in unseren Händen. Einige lassen sich sogar ausgiebig streicheln. Erst aus der Nähe sehe ich, wie verschieden die einzelnen Rentiere aussehen. Es gibt hellbraune, dunkelbraune, gescheckte und sogar zwei schneeweiße. Sie sind die Lieblingsrentiere von Nicklas, erzählt er mir. „Eigentlich sehen sie sich so ähnlich, dass ich beiden ein Halfter angelegt habe – ein rotes und ein blaues, um sie zu unterscheiden. Doch heute morgen hat eines der beiden sein Geweih abgestossen, jetzt kann man sie sehr gut unterscheiden – bis es wieder nachgewachsen ist.“ Liebevoll krault er seine Rentiere. Ich frage, ob diese Rentiere später geschlachtet werden. Nicklas verneint: „Klar, schlachten wir auch Rentiere, aber diese zahmen hier nicht. Das könnte ich nicht – sie sind mir seit vielen Jahren ans Herz gewachsen.“
Stormyrbergets Lantgård – ein Ferienbauernhof wie aus dem Bilderbuch
Viel zu schnell müssen wir leider weiter, doch wir haben noch einiges vor. Wir erreichen eine Viertelstunde später Stormyrbergets Lantgård, der entzückende Bio-Bauernhof, auf dem wir heute übernachten werden. Ich fühle mich wie in die Bullerbü-Geschichten von Astrid Lindgren versetzt. Die Besitzer erwarten uns mit einem leckeren selbstgekochten Mittagessen – und ich fühle mich sofort wie zuhause. (mehr über Stormyrbergets Lantgårt erfahrt ihr bald hier).
Storforsen: die längsten Stromschnellen Europas
Am nächsten Morgen starten wir früh. Unser erstes Ziel ist der Wasserfall Storforsen, mit einer Gesamtlänge von 5 Kilometern, die längste Stromschnelle Europas. Auf den letzten zwei Kilomtern schießt das Wasser über ein Gefälle von 60 Metern hinab. Von weitem kann man kaum zwischen Schnee, Eis und Wasser unterscheiden, und es wirkt, als ob der ganze Berg sich bewegen würde – ein faszinierendes Naturschauspiel. Doch Hansi will uns den Wasserfall ganz aus der Nähe zeigen. Um diese Jahreszeit sind einige der Brücken und Stege nur schwer begehbar, weil sie durch die Schneeschmelze extrem rutschig werden. Aus diesem Grund versuchen wir die Wasserfälle von oben zu erreichen. Auch hier muss man sehr vorsichtig gehen, aber der Weg bis zum Aussichtspunkt ist nicht weit.
Wenn man über die Holzstege geht, fühlt es sich an, als ob man über der Landschaft schweben würde. Von oben kann man viele Tierspuren erkennen – Elche, Rentiere, Füchse, Hasen etc. sind hier offentliche in Massen unterwegs – aber natürlich verstecken sie sich auch hier vor uns – und das obwohl wir ganz alleine hier unterwegs sind. Als wir auf der Aussichtsplattform ankommen, bietet sich ein faszinierendes Bild. Der tosende Wasserfall bahnt sich seinen Weg durch die Schneelandschaft. Hier und da hat die Gischt wahre Eiskunstwerke geschaffen.
Am Rande des Wasserfalls gibt es einige Feuerstellen. Klar, dass wir hier draussen picknicken! Schon nach wenigen Minuten hat Hansi ein prasselndes Feuer entfacht und wir wärmen unser in Alufolie verpacktes Mittagessen auf. Lachs, Gemüse und Kartoffeln duften schon nach kurzer Zeit verführerisch und wir genießen die – für uns – recht ungewöhnliche Mittagspause im strahlenden Sonnenlicht, vor der Kulisse des tosenden Wasserfalls.
Anschließend geht unsere Fahrt weiter nach Arjeplog ins Iglootel – doch darüber berichte ich beim nächsten Mal! 🙂
Hinweis: Ich war im Rahmen einer Pressereise in Schwedisch Lappland unterwegs.
4 Kommentare
Ich hab schon in Piteå im Meer gebadet, war in der Tat selbst für mich als Frostköttel warm genug! ☺ Lange her…
Ha! Dann stimmt es also wirklich? Ich muss gestehen, ich habe ein bisschen gezweifelt. Dann spricht definitiv nichts mehr gegen einen Sommerurlaub in Lappland 🙂
Hallo, schön geschrieben und vor allem die Rentiere haben es mir angetan. Können Sie mir bitte sagen, ob es eine Rentierfarm war, wo Sie waren? Und wenn ja, wo sie genau war? Vielen Dank! Viele Grüße
Liebe Claudia,
ja, es war eine Rentierfarm – aber ich weiß leider nicht mehr wie sie hieß. Es war die Farm eines Freundes unseres Guides. Ob sie der Öffentlichkeit offensteht weiß ich leider nicht.
LG Antje